Freitag, 21. März 2014

"It's just a Reflector" oder doch die größte Band unserer Zeit?


Ich hasse Arena Shows, oder besser gesagt, vielleicht will ich sie hassen. Weil die Intimität der Musik viel zu oft verloren geht, weil es in Mehrzweckhallen Business Lodgen gibt, weil es einfach zu viele Leute sind und weil die Kraft der Musik oder Performance einfach verloren geht. Aber wenn eine Band nun Mal populärer wird gibt es keinen Ausweg mehr, die Alben verkaufen sich besser, was den Musikern ja nur zu wünschen ist, da es in Zeiten von Spotify und Pirate Bay schon schwer genug ist überhaupt von seiner Kunst zu leben. Ja Musik ist Kunst, es kostet Geld sie zu produzieren und die Menschen, die sie machen wollen davon auch Leben. Aber dafür ist ja auch noch ein anderes Mal Zeit, darüber zu schreiben. Schließlich bin ich immer noch fasziniert, erfüllt und vor allem verzaubert vom Sonntag, von Arcade Fire und ihrer Arena Show in Cleveland. Ja ich glaube das mir dieses Konzert geholfen hat, diese Band, die ich doch allzu sehr verehre und gleichzeitig hat sie auch gezeigt das Arcade Fire, vielleicht doch so etwas sind wie die Stimme ihrer Generation. So sehr ich diesen Begriff auch hasse. Wer sich fragt warum? Bob Dylan wurde auch zu etwas stilisiert, was er nie war und nie sein wollte. Die Konsequenz daraus war ein Motorradunfall, eine lange Pause und ein sehr christliche Phase.

Tanzen mit Arcade Fire, oder doch nur der Fake Band? Wer weiß?
Kid Koala!
Rave! Rave! Rave!
Jetzt aber Arcade Fire! Oh Mann hab ich mich auf dieses Konzert gefreut, Arcade Fire ist wohl eine der wenigen Bands, die ich immer schon geliebt, aber noch nie live gesehen habe. Schon um halb sechs hab ich mich auf den Weg gemacht. Als ich an der Q ankam sah ich schon die ersten verkleideten Menschen auf der Straße. Schon kam ich mir in meinem Anzug weniger blöd vor. Denn noch vor der Tour wurden die Besucher gebeten, entweder in Verkleidung oder formell gekleidet zu den Shows zu erscheinen (Also in Anzug oder Ballkleid). Das löste erst Mal natürlich, wie so vieles, einen gigantischen Shitstorm aus. Dennoch kamen dem wohl etwa 75% der Besucher nach. Was dem ganzen nur noch mehr das Gefühl etwas besonderem verlieh. Wie gesagt es war nicht nur ein Konzert, viel mehr eine Show, eine Party, oder eine Mischung aus haitianischem Karneval und Mardi Gral. Eröffnet wurde der Abend von Kid Koala, der von der zweiten Bühne im Innenraum, den Publikum mit recht ungwöhnlichen Mixen einheizte. Das machte schon Mal gut Stimmung, dem Typen im Koala Kostüm beim herumhüpfen zu zu schauen. Nach etwa einer Stunde wurde der aber auch schon von seinem Kollegen Dan Deacon abgelöst, der irgendwie eine durchaus interessante Kombination aus komischen Loops und gepitchten Vocals ablieferte: Mehr Wissenschaftler und Comedian, als Musiker. Seine Ansagen waren eigentlich ziemlich gut, außerdem schaffte er in der Mitte des Raumes, einen Kreis für "Dance Battles" und Gruppentänze. Inklusive Wall Of High Five, (Zitat: In Europe they have those things where people go crazy and run into each other. But I guess they have better healthcare, so let's run into each other and give endless high fives) Alle Leute waren am Tanzen und schon betraten Arcade Fire die Bühne. Oder besser ihre Pappmache Replikas, die nach kurzer Zeit dann von der richtigen Band vertrieben wurden.




Der Rausch konnte beginnen. "Is anything as strange as a normal person?" "Normal Person", machte den Anfang und die Menge war sofort gebannt und erstaunlich Text sicher. Ja was ist eigentlich normal? Gleich darauf "Rebellion Lies" das den Ton für den restlichen Abend angab. Die gewöhnliche Norm, nur eine Illusion eine Lüge "Every time you close your eyes/Lies, lies!". Die ersten Fäuste wurden gereckt. Es ist schon wirklich erstaunlich was diese mittlerweile 12 köpfige Band für eine Energie freisetzt. Schon nach 2 Songs gab es kaum ein Halten mehr. Zu den neueren "Reflektor" Stücken wurde eher getanzt, aber ja es war Stimmung da nicht wie sonst bei meinen anderen Konzerten in den USA, wo Leute lieber rumstehen anstatt sich zu bewegen; mit den armen verschränkt. Viele der Songs machten erst auf diesem Konzert für mich richtig Sinn, als Win Butler etwa zum sehr haitianisch angehauchten "Flashbulb Eyes" Handys in der ersten Reihe einsammelt und wahllos Bilder von sich schoss, während er sang "What if the camera/Really do/Take your soul?". Während 100 im Publikum, inklusive mich, mit ihren Handys richtig drauf hielten. Oder "We Exist", dass den Mitgliedern der Westboro Baptist Church gewidmet wurde, die Homosexuelle verteufeln, wie im Mittelalter, "You can, hate us, but we still exist", vielleicht soltlen wir einfach mehr existieren, anstatt vegetieren. Ein Highlight für mich blieb dann aber doch "The Suburbs", dem Song den Win Butler seiner Jugend, in den Suburbs von Texas gewidmet hat. Der sich das "perfekte" Leben und die Schrecken und Ängst, die hinter den perfekt getrimmten yards auftauchen so erschreckend seziert, während 8000 Kehlen im Publikum, die wahrscheinlich zum Großteil im selben Milieu aufgewachsen sind zurück sangen "Sometimes I can't believe it/I'm movin' past the feeling". Das war schon schwer berührend. Vielleicht ist es das was Arcade Fire so gut macht, neben der genialen Musik, dass was ihren Erfolg begründet. Sie schaffen es einfach einen Großteil der Ängste der post 9.11. Generation einzufangen.



























Das Aufwachsen in einer scheinbar heilen Welt, bis man hinter die Fassaden schaut. Die Suche nach Sinn, in einer Welt in der man auf nichts mehr warten muss, weil alles unglaublich schnell geht, Kommunikation, Information, Konsumgüter, alles ist eigentlich zu jeder Zeit verfügbar. Am Ende ist es doch die Hoffnung, dass etwas schönes bleibt, dass was uns antreibt "I hope that something pure can last". Eingefangen im fantastischen "We Used To Wait". Ein absoluter Gänsehaut Moment war dann auch noch "Intervention", das mit seiner infernalischen Orgel alles zerschnitt. Der Song, der meinem Vater am Besten gefällt "Working for the church while my family dies". Höhere Ideale rechtfertigen doch alles sogar "Intervention". Aber ich verliere mich schon wieder viel zu viel in Interpretationen. Auch ohne all das, wäre es ein tolles Konzert gewesen mit Songs wie "No Cars Go" und "Afterlife". Hinter all den Discokugeln, den beiden Bühnen, den ganzen Spiegeln, den Projektionen, steckte ein Konzept. Es schuf eine Atmosphäre die mindestens genauso eindrücklich und beklemmend sein konnte wie die eigentliche Performance. "Haiti" wurde natürlich auch gespielt, da Sängerin Regine von eben dort stammt und große Teile des Albums dort aufgenommen wurden. Des weitern geht auch ein Teil der Einnahmen der Ticket Einnahmen an ein eigenes Hilfsprojekt in Haiti.



Bei "It's Never Over (Orpheus)" sang Regine ihren Part von der zweiten Bühne während sie vom Tod (einem Skelett) betanzt wurde. Dies verlieh dem ganzen Orpheus Drama noch mehr Ausdruck. Das Finale des regulären Blocks machte dann "Sprawl II (Mountains Beyond Mountains)". Der zuckersüßen Abrechnung einer "whitewashed American  Trotz dem Fakt, dass das Konzert in einer Arena stattfand, hatte ich nie das Gefühl, dass das nur ein weiteres Stadionrock Konzert ist. Wie es Dank Bands wie Bon Jovi, Kings Of Leon oder mittlerweile den Killers auf tausende glückliche Besucher hingerotzt wird. Dem ganzen wohnte doch eine Gewisse Intimität bei. Die Band verließ kurz darauf die Bühne. Nach kurzer Zeit erschien auf Einmal die "Fake Band" mit den Pappmache Köpfen auf der zweiten Bühne und begannen ein Cover von Devos "Satisfaction" Cover zu spielen. Momente später begann die richtige Band mit ihrem Cover von Devos "Uncontrollable Urge" auf der richtigen Bühne. Es war eine großartige Homage an die Gruppe, die auch aus Akron im Nordosten Ohios stammt.



Das doch erstaunlich tanzbare "Reflektor" beschloss dann den Anfang vom Ende, eines Konzerts, dass ich wohl so schnell nicht vergessen werde. "Here Comes The Night Time" versprühte dann nochmals die Karneval/Mardi Gras Stimmung. Während das über jeden Zweifel erhabene "Wake Up" den letzten Song des Abends markierte. "Wake Up" ein Song wie ihn nur Arcade Fire schreiben kann, allein die Gitarre, die Chöre. Das Publikum war zu diesem Zeitpunkt lauter als die Band, wildfremde Menschen lagen sich in den Armen. Geeint durch die Musik, Konfetti kam von der Decke. "If the children don't grow up/Our bodies get bigger but our hearts get torn up/We're just a million little god's causin' rain storms turnin' every good thing to rust". Alle sangen noch lange den Refrain, all die Oooohhhhs hallten noch lange durch die Q als die Band schon längst von der Bühne war. Was für ein Konzert! Was für ein Wechselbad der Gefühle! Ungebändigte Euphorie wechselte sich mit dramatischer Melancholie und dem einfachen Willen zu tanzen ab. Arcade Fire können Arena das haben sie mir hiermit bewiesen. Vielleicht sind sie sogar die Arena Band dieser Zeit, was ich bei der Sperrigkeit mancher Songs und vor allem der Dringlichkeit sowie der Komplexität der Texte immer noch  für äußerst erstaunlich halte. Bruce Springsteen in 1980. U2 in 1984. Pearl Jam in 1991. Radiohead in 2006. Coldplay in 2012. Und jetzt Arcade Fire. Wobei diese zumindest meiner Meinung nach von der musikalischen Qualität und künstlerischen Bedeutung nur mit Radiohead vergleichbar sind. Egal ich jedenfalls bin immer noch völlig Hin und Weg. Das war nicht nur eine großartige Show, emotionsreich, abwechslungshaft, sondern vor allem auch ganz große Kunst und nicht nur irgendeine 08/15 Stadiorock Show!






Ja jetzt heißt es warten, auf das nächste Arcade Fire Konzert. Am Besten auf einem Festival, auf einem europäischen, wo all das durch das Publikum auf ein sphärisches Level gehoben werden kann. Am Ende noch der Song der mich am Meisten überrascht hat, da er vorher wohl nie zu meinen Favoriten gezählt hat. "Hope that something pure can last..."

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